Ursachen von Übergewicht (Folge 14 von 14)
Die Ergebnisse scheinen eindeutig: Studien zur Häufigkeitsverteilung von Übergewicht bei Zwillingen, adoptierten Kindern oder großen Familien zeigen, dass Übergewicht (gemessen mit Body Mass Index / BMI) oder die Körperzusammensetzung (vor allem die Menge von Fettgewebe) zu 50 bis 80 Prozent erblich beeinflusst sind [1, 2]. Diese Studienergebnisse erfreuen vor allem die oft mafiös arbeitende Ernährungsindustrie: Die weltweite Übergewichts-Epidemie hänge, so die für sie freudige Botschaft der Wissenschaft, nicht von ihrem industriellen Junk-Food ab, mit dem sie tagtäglich Millionen von Menschen vergiften, sondern vom Erbgut.
Die Theorie hat jedoch zahlreiche Schwachstellen: Spezifische Erbanlagen („Gene“), die bei vielen Menschen nachweislich im Zusammenhang mit Übergewicht stehen, konnten beispielsweise nicht identifiziert werden. Selbst Forschern, die die Erblichkeit der Adipositas gerne als wesentliche Ursache des Weltproblems propagieren, stößt zudem störend auf, dass die verschiedenen Häufigkeitsverteilungs-Studien zu extrem unterschiedlichen Resultaten geführt haben. Einige Studien konnten keinerlei erbliche Einflüsse für das Auftreten von Übergewicht, andere erbliche Einflüsse von bis zu 80 Prozent feststellen [2].
Auch völlig banale Beobachtungen von Ernährungsmedizinern zeigen für die Erblichkeitstheorie Unpassendes. Zum Beispiel:
„(…) Studien mit „starken“ und „schwachen“ Essern haben ergeben, dass Personen gleicher Größe bei erheblichen Unterschieden in der gewohnheitsmäßigen Nahrungsenergiezufuhr das gleiche Körpergewicht bzw. den gleichen Körperfettanteil aufweisen können. Dieser Befund konnte noch nicht ausreichend erklärt werden, verdeutlicht jedoch, dass einige Personen ihrem Appetit entsprechend essen können und andere nur durch starke Nahrungsbeschränkungen Übergewicht vermeiden können (…)“ [3].
Es scheinen also bei einigen Menschen (den „starken“ Essern) die propagierten Adipositas-Erbanlagen völlig zu fehlen, die jene Menschen haben, die „nur wie ein Spatz essen, aber trotzdem zunehmen“. Viel entscheidender aber sind Beobachtungen und Analysen, die Wissenschaftler und viele andere Menschen seit etwa den 70iger Jahren machen: Übergewicht wird immer schneller immer häufiger. Und zwar bei uns allen, überall auf der Welt, und nicht nur bei unseren Kindern, denen wir das „irgendwie“ hätten vererben können.
Zähneknirschend akzeptieren deshalb etliche Fachleute, dass es viele Ursachen für Adipositas und die Übergewichts-Epidemie geben muss. Dabei spielt die Vererbung aber nur insofern eine Rolle, als sie die Mechanismen zur Verfügung stellt, mit denen wir Fett einlagern oder dick werden können. Neben diesen biologischen Faktoren sind jedoch die vielen eigentlichen Adipositas-Ursachen ausschlaggebend, von denen einige in dieser Serie schon vorgestellt worden sind.
Übergewicht und geistige Gesundheit
Die Frage nach der Erblichkeit von Übergewicht macht erneut deutlich, dass bei der Volkskrankheit Adipositas äußerste geistige Klarheit nötig ist. Sonst werden Ursachen, Auslöser, begünstigende Einflüsse, mit Übergewicht nicht zusammenhängende Faktoren oder gar die Folgen von Übergewicht wild durcheinandergewürfelt. Und es gibt auf die offenen Fragen ständig nur falsche Antworten anstatt wirksamer Lösungen. Deshalb noch mal: Unsere Veranlagung erlaubt es unseren Fettzellen, Fette einzulagern. Das ist eindeutig. Ein falscher Umkehrschluss ist aber die Aussage, „deshalb sei die Veranlagung oder das Erbgut Ursache von Übergewicht“. Diese Aussage ist falsch. Wäre sie richtig, würden fast alle Menschen im Laufe des Lebens, auch schon vor Jahrhunderten oder Jahrtausenden, regelmäßig übergewichtig werden. Das ist aber niemals so gewesen!
Autor
• Rainer H. Bubenzer, Gesundheitsberater, Berlin, 28. November 2014.
Bildnachweise
• Kletr, 2014: Übergewichtige Familie draußen (fotolia.com, 71694173).
• bluedesign, 2014: Schild Eltern haften für Ihre zu dicken Kinder (fotolia.com, 42022598).
• Haramis Kalfar, 2014: Altersvorsorge Lebensversicherung (fotolia.com, 43895916).
Quellen
[1] Katzmarzyk P, Bouchard C: Genetic influences on human body composition. In Heymsfield S, Lohman T, Wang Z, Going S (Eds.): Human body composition (2nd ed., pp. 243–258). Human Kinetics, Champaign, 2005.
[2] Wirth A, Hauner H (Hrsg.): Adipositas – Ätiologie, Folgekrankheiten, Diagnose, Therapie (4. Aufl.). Springer Medizin-Verlag, Heidelberg, 2013.
[3] Elmadfa I, Leitzmann C: Ernährung des Menschen (4. Aufl.). Ulmer Verlag, Stuttgart, 2004.
[4] Summerfield LM: Nutrition, Exercise, and Behavior – An Integrated Approach to Weight Management (2nd ed.). Wadsworth / Cengage Learning, Belmont, 2012.