In einem lustvollen Diskurs lässt Herbert Fritsche (1911–1960) kaum ein gutes Haar an der Naturheilkunde – wie denn auch als Homöopath!? -, reiht aber dann das Fasten aus der Naturmedizin aus und in die Homöopathie ein (siehe unten).
Einer der Gründe: Einer seiner Lehrer – Otto Buchinger -, war bereits qualifizierter Homöopath, bevor er das Heilfasten – quasi als homöopathisches Verfahren – wieder lebendig werden erstehen ließ. Der folgende Text aus einem der bemerkenswertesten Bücher Fritsches – Die Erhöhung der Schlange -, macht deutlich, wie sehr Fritsche tatsächlich Schüler Buchingers war. Wenn auch seine Verortung des Heilfastens in ein stationäres Kur-Setting, das bis heute von den Nachfahren Buchingers propagiert wird, aus heutiger Sicht nicht mehr zeitgemäß ist (zum Beispiel nach den bahnbrechenden Forschungen der Altersforscher Mark Mattson oder Valter Longo). Selbst wenn im Einzelfall viele gute Gründe für stationäre Fastenkuren sprechen.
Wenn Fritsche, ganz im Gegensatz zu den Forderungen Samuel Hahnemanns im ersten Paragraph seines Organons, viele Bücher und Artikel mit Spekulationen und Betrachtungen zur Homöopathie füllt, sei es ihm in diesem Fall nachgesehen: Zu verstehen, was die Homöopathizität des Fastens eigentlich ausmacht, wie dies wiederum zentrale „Nebenwirkungen“ des Fastens erklärt, ist doch von großer Bedeutung für alle Therapeuten, die das Fasten – ja und auch das Intervallfasten! – in ihren therapeutischen Kanon aufnehmen wollen.
Das zweite Beispiel aus – vermeintlich – naturheilkundlichem Bereich ist das Heilfasten, wohl der älteste und einer der edelsten therapeutischen Wege. Ich habe es als Mitarbeiter Buchingers sieben Jahre lang an vielen Hunderten studieren können und dabei seine prinzipielle Homöopathizität gründlich kennengelernt. Otto Buchingers Werk Das Heilfasten und seine Hilfsmethoden, das bereits als klassisch angesprochen werden darf, hat nur einen Fehler, nämlich seinen Untertitel. Das Heilfasten »als biologischer Weg« ist eine contradictio in adjecto. Bios ernährt sich, Bios wuchert – gärender Morast, wüstes Wachstum ist sein Reich. Den reinen Bios repräsentiert die Pflanze, die niedere insbesondere. Bei der Blütenpflanze bereits kommt durch deren farbige, duftende Sexualität etwas »Störendes« in den Nichts-als-Bios hinein. Das Tier gar wird beunruhigt von seiner Psyche, der Bios des Tiers ist Vehikel der Psyche. Im Menschen aber hat der Bios eine Rangstufe, von der man nur aussagen kann, daß das Menschliche des Menschen oberhalb seiner vonstatten geht und daß es den Bios zügelt, wandelt und heilsam entgleichgewichtet, um ihn immer wieder neu in menschliche Gleichgewichtslagen zu bringen. Das Neinsagenkönnen zum Bios ist weitgehend ein Bestimmungsmerkmal des Menschen. Kein Tier vermag das.
So vermag denn auch kein Tier zu fasten. Ganz verfehlt ist es, wenn Fastenärzte darauf hinweisen, daß das kranke Tier »aus sicherem Instinkt heraus« faste und daß der Mensch davon lernen solle. Ist ein Tier erkrankt, dann stellt sich bei ihm Appetitlosigkeit ein. Solange es infolge des Krankseins appetitlos bleibt, verweigert es die Nahrungsaufnahme. Verweigerung der Nahrungsaufnahme hat nichts mit Fasten zu tun, sondern ist nur Ausdruck physischen Unbehagens. Sobald nämlich bei dem genesenden Tier der Appetit wiederkehrt, frißt es und muß es fressen. Ein Tier, das – hungrig – angesichts seines Futters nein zu diesem Futter sagt oder das sich weigert, auf Nahrungssuche zu gehen, gibt es nicht; es wäre kein Tier mehr.
Fasten ist ein nur dem Menschen mögliches Verfahren und hat mit dem Abscheu vor Speisen, der sich bei gewissen Erkrankungen einstellt, lediglich das gemein, daß in beiden Fällen keine Nahrung aufgenommen wird. Es gibt kein Volk der Erde, sowohl im Raume als auch in der Zeit, welches nicht das Fasten kennt. Seit je gehört langdauerndes Fasten zu den Initiations-Vorbereitungen, seit je auch zur Therapie. Alle Religionen – mit Ausnahme des Protestantismus nach Luthers Tode – kennen und fordern das Fasten, wenngleich es in der Römischen Kirche weithin so lax durchgeführt wird, daß es praktisch auf eine ansehnliche Ernährung hinausläuft. Unter Fasten verstehe ich selbstverständlich nur die totale Nahrungsenthaltung, die sich, wie mehr als 100.000 ärztlich kontrollierte Fälle beweisen, bei gutem Befinden wochenlang durchführen läßt.
Sehen wir (obwohl das recht eigentlich unstatthaft ist) vom religiösen und vom im Dienste der Initiation stehenden Fasten ab und betrachten wir nur das in den Dienst der Therapie gestellte, so ist es auch als ein solches von eindeutig metabiologischem Charakter. Dies nicht nur, weil es in einem Nein zu einer der massivsten biologischen Tendenzen besteht: zum Essen, sondern auch, weil jeder für das Fasten geeignete Kranke ins Kraftfeld metabiologischer Prozesse gerät, worüber bei Buchinger Ausführliches nachgelesen werden kann.
Das Homöopathische des Fastens ergibt sich ohne weiteres aus dem, was im Organismus des Fastenden vorgeht. Auch der Fastende »ißt«. Da er sich keine Nahrung zuführt, muß er von den Beständen seines eigenen Organismus zehren. Wie wir wissen, greift er dabei sein entbehrlichstes, sein unerwünschtes Material an: er bringt seine (um bewußt ein volkstümliches Wort zu wählen) »verschlackten« Gewebe ins Feuer des Stoffwechsels, er führt »Lumpenverbrennung« durch, wie Buchinger es nennt. Das, was an Krankhaftem in ihm ruhte – und keineswegs nur »ruhte« -, wird währen des Fastens sehr allmählich, fein dosiert, dem Organismus als Nahrungsersatz zur Verfügung gestellt von diesem Organismus selber, der seine eigene materia peccans («Friß, Vogel, oder stirb!«) verspeist. Sehr grob gesprochen: Das in den Schmutzwinkeln und minderwertigen Geweben abgelagerte Selbstgift-Material führt dadurch, daß der Fastende es verstoffwechselt, zu einer Auseinandersetzung seines Organismus mit dessen pathologisch körpereigenem Simile. Was krankmachende Schlacke war – Schlacke ist etwas Totes -, das verlebendigt sich nunmehr, indem es auferweckt wird zur Not-Nahrung. Was weitgehend (es sei diese ungewöhnliche Formulierung gestattet) ausverleibt im Leibe war, das wird sukzessiv wieder einverleibt: dadurch kommt es nicht als »das Gleiche« (welches die Erkrankung hervorrief) zur therapeutischen Auswirkung, sondern, potenziert durch die superfeinen Verdauungsvorgänge des Fastenstoffwechsels, als das »Ähnliche«. Immerhin ist solche Selbstmedikation nie so weise dosiert wie die arzneilich-homöopathische, weshalb – wie zu Hahnemanns homöopathischen Anfangszeiten, als er noch mit relativ massiven Arzneigaben arbeitete – beim Fasten stets Krisen auftreten, Erstverschlimmerungen, die als erwünscht gelten und die nur dann, wenn sie gar zu quälend sind, eine zusätzliche Therapie erfordern. Wen wird es verwundern, wenn er hört, daß Buchinger in solchen Fällen mit hochpotenzierter homöopathischer Arznei zu Werke geht?
Immer wieder beobachten die Fasten-Therapeuten, daß während einer Heilfasten-Kur der Organismus des Kranken geradezu verblüffende Erscheinungsbilder seiner früheren Erkrankungen produziert und alsdann wieder auslöscht. Man kann sich dem Eindruck nicht verschließen, daß alles Unerledigte, alles nicht ganz Getilgte aus seinem Einst (das latente Gegenwart geblieben ist) hervorkommt, daß mithin der Kranke an seiner eigenen Krankengeschichte – similia similibus – gesund wird, wenn er fastet.
Auf das Vielfältige, was in seelischer und geistiger Hinsicht noch hinzukommt – und was im gleichen Rahmen der Homöopathizität bleibt -, kann ich hier nicht eingehen, da nur Fingerzeige gegeben werden sollen. Aber ein sehr charakteristisches Fasten-Phänomen sei noch betrachtet, zumal es auch außerhalb der Fasten-Therapie die gleiche homöopathische Bedeutung hat. Der fastende Patient ist schlaflos, zumindest schläft er sehr wenig. Erhart Kästner sagte mir während seiner Fastenkur, jetzt erst könne er verstehen, weshalb im Neuen Testament gesagt wird, Jesus habe 40 Tage und Nächte gefastet: denn die Nächte werden miterlebt.
Es wäre therapeutisch falsch, würde man dem schlaflosen Faster – auf welchem Wege auch immer – zum Schlaf verhelfen. Da er sich in der Situation der Kur und in einer Kuranstalt befindet, also fern vom Alltag und dessen Anforderungen, bringt ihm solche Schlaflosigkeit nicht nur keine Nachteile, sondern gewaltige Vorteile. Gewiß, sie quält. Aber was quält? Es quält den Kranken, daß an seinem Bett – bildlich gesprochen – in den schlaflosen Nächte ein ihm Ähnlicher sitzt.
Da fühl’ ich mich dann schauernd
Wie niemals noch allein,
Und der ich bin, grüßt trauernd
Den, der ich könnte sein,
heißt es bei Hebbel. Der, der ich könnte sein, ist in Wahrheit der, der mir wirklich ähnlich ist. Und der wirkt wie Gift auf mich. Es ist nun an mir, dafür zu sorgen, daß er als Arznei auf mich wirkt. Die Schlaflosigkeit des Fastenden – und die Schlaflosigkeit überhaupt – ist nur für Uneingeweihte ein Fluch, für Eingeweiht eine Gnade: sie ist eine ganz besonders dramatische homöopathisch Situation, der der Kranke gern ausweicht. Der Therapeut – hier schon kommen wir zum homöopathischen Prinzip in der Psychotherapie – wird darauf einzuwirken haben, daß statt des (allopathisch gesinnten) Ausweichens echte Ähnlichkeits-Heilsamkeit errungen werde. Zunächst macht der »Ähnliche« am Bett des Schlaflosen diesen auch da krank, wo er gar nicht wußte, daß er krank ist. Weil das geschieht, kann er ihn auch genesen lassen. Hebbels Vers muß abgeändert werden in eine sakrale Prosa, die da verkündet: Dein Schauern, Schlafloser, kommt daher, daß du nicht allein bist, sondern mit deinem Simile konfrontiert die Nacht zu verbringen hast. Dieses Simile – der dir im Geist und in der Wahrheit Ähnliche (und du leidest an ihm, weil ihr euch nur ähnlich, weil ihr nicht identisch seid!) – darf dich nicht mehr trauernd grüßen, du mußt erkennen und erwirken, daß es similia similibus Verheißungsgrüße sind. Und nun laß es wirken!
Autor
• Rainer H. Bubenzer (Gesundheitsberater), Berlin, 13. November 2018.
Quelle
• Herbert Fritsche: Die Erhöhung der Schlange – Mysterium, Menschenbild und Mirakel der Homöopathie. Klett, Stuttgart, 1953 (bei Amazon kaufen, Wikipedia).
Bildnachweis
• www.herbert-fritsche.de.
weitere Infos
• Verstopfung: Typische Folge von Intervallfasten
• 1935: Die Wirkung von Fasten auf die Stuhlverstopfung
• Fasten für Senioren: Ist das gesund?