Das Gesundheitsproblem Übergewicht wird weltweit immer bedrohlicher. Aktuelle Forschungen zeigen, dass der Zustand der Darmbakterien („Darmflora“) wesentlich für das Auftreten von Übergewicht und Adipositas und deren chronischen Verlauf ist [1]. Der Hauptgrund ist die Veränderung der menschlichen Ernährung im Verlauf der letzten 100 Jahre. Der pflanzliche Ballaststoff Inulin – ein Präbiotikum – kann wirksam Abhilfe schaffen.
Die Fakten
- Schon lange ist bekannt, dass eine gesunde Darmflora die Grundlage für die Abwehrfunktionen des Körpers („Immunsystem“) ist. Eine Störung des bakteriellen Lebens im Darm (»Dysbiose«) erhöht zum Beispiel die Gefahr von Infektionskrankheiten und anderen Erkrankungen. Beispielsweise nach Behandlungen mit zahlreichen Antibiotika (die auch viele Darmbakterien abtöten) [2, 3].
- Ein Zusammenhang von Darmflora und Übergewicht wurde vor wenigen Jahren schockierend einfach belegt: Wird etwas bakterienhaltiger Darminhalt von dicken Versuchstieren auf dünne Tiere übertragen, legen auch die schlanken Tiere rasch an Gewicht zu. Das funktioniert sogar, wenn eine geringe Menge Darmbewohner von übergewichtigen Menschen auf schlanke Labortiere transplantiert wird [4].
- Die Darmbakterien können also Signale senden, die bei Mensch und Tier zu Übergewicht führen. Zunächst wurde angenommen, verschiedene chemische, von Bakterien gebildete Signalstoffe würden dies bewirken, ähnlich wie Gewebshormone [5, 6]. Erst im vergangenen Jahr wurde aber klar: Darmbakterien kommunizieren auch ohne alle Umwege über Nervenzellen in der Darmwand direkt mit dem Gehirn [7].
- Auf diesem Weg können sie vor allem die natürliche Appetit-Regulation und das Sättigungsgefühl stören und so dick machen [8]. Denn: Wer mehr Appetit beim Essen hat und sich erst später gesättigt fühlt, nimmt deutlich mehr Nahrung auf als notwendig.
Was ist der bio-logische Sinn?
Warum die Darmflora dies macht, beantwortete schließlich einer der renommiertesten Ärzte Europas, Prof. Dr. Stig Bengmark von den Universitäten London (Großbritannien) und Lund (Schweden): Die moderne, für die menschliche Ernährung hocheffektive Nahrung enthält nur wenige Ballaststoffe. Genau hiervon leben Darmbakterien aber vorwiegend. Wenn wenig Ballaststoffe den Dickdarm erreichen (dort leben die meisten »unserer« Bakterien), bekommen die Kleinstlebewesen auch zu wenig der für sie überlebenswichtigen Vitamine oder Mineralstoffe. Kurzum, durch diesen Nahrungsmangel erleiden die Bakterien Hunger. Und senden Signale an das menschliche Gehirn, damit die Nahrungsaufnahme erhöht wird [9].
Das Ganze ist „bio-logisch“, wenn man bedenkt, dass Menschen und Bakterien schon seit vielen Millionen Jahren miteinander leben. Ja, sie leben so eng miteinander zusammen, dass Biologen von einem »Super-Organismus« sprechen – also einem Lebewesen, das aus vielen verschiedenen Arten zusammengesetzt ist [10]. Da Menschen sich seit Millionen Jahren überwiegend pflanzlich ernähren, hat die Darmflora immer reichlich Ballaststoffe bekommen und war „glücklich“ [11]. Bis vor etwa 100 Jahren jedenfalls. Seither hat sich der Ballaststoffanteil der Nahrung dramatisch verringert, besonders in den letzten 30 Jahren. Das ist genau der gleiche Zeitraum, in dem die Übergewichts-Epidemie und ihre Folgen (zum Beispiel die Zuckerkrankheit) fast alle Menschen mit westlichem Ernährungsstil erreicht haben [12, 13].
Was tun?
Leider ist es kein wundersames Allheilmittel, wenn Menschen nun große Mengen unverdauliche Kohlenhydrate verzehren, wie zuerst gehofft wurde. Weder zur Vorbeugung chronischer Zivilisationskrankheiten noch zur Vorbeugung oder Behandlung von Übergewicht [14, 15]! Einige Studien haben jedoch gezeigt, dass ganz bestimmte Ballaststoffe zum Beispiel dabei helfen, den Erfolg von Abnehmprogrammen zu verbessern, vor allem der Kohlenhydrat-Ballaststoff Inulin [16, 17]. Aber nicht deshalb, weil dieser Ballaststoff ein chemischer, nebenwirkungsreicher Wirkstoff zum Verringern des Appetits wäre. Sondern, weil Inulin die Verteilung der rund 1.200 Bakterienspezies im Darm ändern kann [18]. Wodurch Mikroorganismen allmählich zunehmend an Bedeutung gewinnen, die weniger an der Entstehung von Übergewicht beteiligt sind (»gute« Bakterien) [19]. Zu sehr schnellen Abnehmerfolgen führt die regelmäßige Aufnahme von Inulin aber meistens nicht. Meist ist eine längere Einnahme notwendig [20, 21]. Dann aber unterstützt dieser Ballaststoff den Gewichtsverlust [22] bei wirksamen Abnehm-Programmen. Zum Beispiel in Kombination mit Intervall-Fasten (iFasten), Ernährungs-Umstellung und vermehrtem Kraft-Ausdauer-Training.
Autor
• Rainer H. Bubenzer (Gesundheitsberater Weniger-kg.de), Berlin, März 2015.
Bildnachweis
• barmaleeva (fotolia.com, 70764194).
Quellen
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[3] Riley LW, Raphael E, Faerstein E: Obesity in the United States – dysbiosis from exposure to low-dose antibiotics? Front Public Health. 2013 Dec 19;1:69.
[4] Ridaura VK, Faith JJ, Rey FE, Cheng J, Duncan AE, Kau AL, Griffin NW, Lombard V, Henrissat B, Bain JR, Muehlbauer MJ, Ilkayeva O, Semenkovich CF, Funai K, Hayashi DK, Lyle BJ, Martini MC, Ursell LK, Clemente JC, Van Treuren W, Walters WA, Knight R, Newgard CB, Heath AC, Gordon JI: Gut microbiota from twins discordant for obesity modulate metabolism in mice. Science. 2013 Sep 6;341(6150):1241214.
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[6] Frost GS, Walton GE, Swann JR, Psichas A, Costabile A, Johnson LP, Sponheimer M, Gibson GR, Barraclough TG: Impacts of plant-based foods in ancestral hominin diets on the metabolism and function of gut microbiota in vitro. MBio. 2014 May 20;5(3). pii: e00853-14.
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[22] Parnell JA, Reimer RA: Weight loss during oligofructose supplementation is associated with decreased ghrelin and increased peptide YY in overweight and obese adults. Am J Clin Nutr. 2009 Jun;89(6):1751-9.
Zusatzinfos
• Bubenzer RH, Hirschler M: Abnehmen mit iFasten – Wissenschaft und Anwendung. multi MED vision Verlag, Berlin, 2015 (ISBN: 978-3-00-046699-1).